Hoher Leidensdruck durch überaktive Blase
Hannover, 07.11.2019 – Viele Menschen kennen es: ständiger, überfallartiger Harndrang, doch die Urinmenge fällt eher gering aus. Das Gefühl immer „zu müssen“ und die dauernde Toilettensuche wirken sich negativ auf die Lebensqualität aus. Ignorieren ist keine Lösung, denn mit den Lebensjahren werden die Probleme schlimmer. Der Anteil der Betroffenen steigt zwar, doch die Mehrheit spricht aus falsch verstandener Scham nicht mit einem Fachmann über die belastenden Beschwerden. Durch die rechtzeitige, diskrete und sachkundige Beratung in der Apotheke können Leidtragende ausloten, ab wann ein Arztbesuch notwendig ist oder ob sie das Harnlassen (Miktion) ihrer überaktiven Blase noch selbst „in den Griff“ bekommen können. Damit die Zahl der Toilettenbesuche sinkt, können die Intervalle schrittweise und behutsam vergrößert werden. Ein Miktionstagebuch, in dem unter anderem die Häufigkeit der Toilettengänge festgehalten wird, hilft Betroffenen bei diesem bewussten Blasentraining, weiß die Apothekerkammer Niedersachsen. Auch einen Versuch wert: pflanzliche Arzneimittel aus der Apotheke, sogenannte Phytopharmaka, sowie pharmazeutische Zubereitungen aus Früchten der Sägezahnpalme, aus Brennnesselwurzeln oder Kürbissamen.
Eigenständiges Krankheitsbild Reizblase
Tritt der Harndrang „von jetzt auf gleich“ auf, ist nur schwer beherrschbar und geht mit häufigem Wasserlassen einher, ist von einer Reizblase die Rede – vorausgesetzt, es liegen keine anderen Ursachen wie eine Infektion, ein Östrogenmangel oder Prostataprobleme vor. Frauen und Männer sind übrigens gleichermaßen betroffen. Die Blasenmuskulatur zieht sich ungewöhnlich frühzeitig und unwillkürlich zusammen, sodass ein nur geringer Reiz auf die Blase zu einem ausgeprägten Harndrang wird. Verantwortlich kann eine Sensibilisierung der Nerven sein, die die Blase versorgen. Doch auch eine Veränderung der Blasenwand, die wiederum zu einer Übererregbarkeit und Überaktivität des Blasenmuskels führt, kann zu einer Reizblase führen. Mögliche weitere Auslöser: eine Hemmung des Miktionszentrums – den Hirngebieten, die die Blasenentleerung regulieren –, ein chronischer Blasenkatarrh oder psychosomatische Faktoren. In anderen Fällen bleibt die Reizblase als „Überbleibsel“ einer Blasenentzündung mit langanhaltenden Schmerzen zurück – die Erkrankung ist längst abgeklungen, die Blase bleibt jedoch überempfindlich. Bei leichteren Formen der Reizblase tritt meist keine Inkontinenz auf.
Medikation richtig einnehmen
Wird eine Reizblase vom Arzt diagnostiziert, ist Mittel der ersten Wahl ein Anticholinergikum, ein Medikament, das die überreagierenden Nerven der Blase beruhigt. Hierzu zählt zum Beispiel der Wirkstoff Oxybutinin. Die Arznei hemmt das unwillkürliche Zusammenkrampfen des Blasenmuskels. Geduld ist gefragt, denn der Therapieerfolg lässt sich manchmal erst nach vier bis sechs Wochen endgültig beurteilen. Mundtrockenheit, Sehstörungen, aber auch eine Verstopfung können als Nebenwirkungen der verschreibungspflichtigen Medikamente auftreten. Da andere eingenommene Arzneien wie Schlafmittel, Antiallergika oder Beruhigungsmittel die Anticholinergika verstärken, lohnt der Check der gesamten Medikation inklusive selbst gekaufter Präparate in der Apotheke. Auf diese Weise können unliebsame Neben- und Wechselwirkungen vermieden werden.
Hilfe zur Selbsthilfe
Sind andere Erkrankungen ausgeschlossen, können Betroffene durch ihr Verhalten selbst dazu beitragen, die überaktive Blase in den Griff zu bekommen:
- Intervalle vergrößern. In einem Miktionstagebuch halten Betroffene fest, wann und welche Flüssigkeitsmenge sie zu sich genommen haben, wie oft sie zur Toilette mussten und wie hoch die Urinmenge ausfiel. Mithilfe dieser Aufzeichnungen kann dann versucht werden, die Toilettengänge schrittweise zu verzögern.
- Trinkmenge verteilen. Die Flüssigkeitsmenge sollte gleichmäßig über den ganzen Tag aufgenommen werden. Nur in den letzten beiden Stunden vor dem Schlafengehen wird auf Flüssiges verzichtet.
- Reizstoffe weglassen. Von Nikotin, scharfen Gewürzen oder ähnlich Reizendem besser die Finger lassen.
- Verstopfungen meiden. Eine Obstipation reizt die Blase zusätzlich, daher ist eine ausgewogene Ernährung mit Ballaststoffen wichtig.
- Beckenboden trainieren. Alles, was für den Rücken gut ist, wirkt sich positiv auf den Beckenboden aus. Das fängt mit der richtigen Körperhaltung an und wird durch Sportarten wie Schwimmen, Gymnastik oder spezielle Übungen ergänzt.
- Harnwegsinfekten vorbeugen. Die Blase sollte regelmäßig und vollständig entleert werden, vor allem nach dem Geschlechtsverkehr. Niere und Blase sollten außerdem immer gut mit einer ausreichenden Trinkmenge durchspült werden.
Wenn etwas daneben geht
Unangenehm: Urin, der unkontrolliert abgeht. Je nach Schwere des Falls nehmen aufsaugende Inkontinenzeinlagen, Windeln oder Windelhosen Feuchtigkeit und Gerüche auf und verhindern Hautreizungen. Berührungsängste sind nicht nötig: Moderne Artikel sehen wie normale Unterwäsche aus. Auffangende Hilfsmittel wie Beinbeutel oder Kondomurinale oder ableitende Produkte wie Katheter helfen, wenn mehr als ein paar Tropfen abgehen. Zur Handhabung sollten sich Betroffene am besten beraten lassen, um mögliche Infektionen zu vermeiden.
Reizblase oder nicht Reizblase?
Mindestens jede achte Frau und jeder zehnte Mann hat chronische Probleme beim Wasserlassen, in diesem Sinne also Blasenfunktionsstörungen. Doch nicht immer ist eine Reizblase verantwortlich. Das Beschwerdebild „ständiger Harndrang, unwillkürlicher Urinverlust“ tritt auch bei anderen Krankheiten auf, sodass mit Hilfe des Arztes den Ursachen auf den Grund gegangen werden sollte. Neben Infektionen der Blase und der Harnröhre können auch ein Östrogenmangel in der Menopause oder ein Wachstum der Prostata und der damit einhergehenden Verengung des Blasenausgangs, oft mit Restharnbildung, zu Grunde liegen. Auch psychosomatische Erkrankungen, Tumore, Blasensteine oder eingenommene Medikamente wie ausspülend wirkende Diuretika, Bluthochdruckpräparate oder Psychopharmaka können sich auf den Harndrang auswirken.
Der Apothekerkammer Niedersachsen gehören rund 7.800 Mitglieder an. Der Apotheker ist ein fachlich unabhängiger Heilberufler. Der Gesetzgeber hat den selbstständigen Apothekern die sichere und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln übertragen. Der Beruf erfordert ein vierjähriges Pharmaziestudium an einer Universität und ein praktisches Jahr. Dabei erwirbt der Studierende Kenntnisse in pharmazeutischer Chemie und Biologie, Technologie, Pharmakologie, Toxikologie und Klinische Pharmazie. Nach dem Staatsexamen erhält er eine Approbation. Nur mit dieser staatlichen Zulassung kann er eine öffentliche Apotheke führen. Als Spezialist für Gesundheit und Prävention berät der Apotheker seriös und unabhängig. Er begleitet den Patienten fachlich, unterstützt ihn menschlich und hilft ihm so, seine Therapie im Alltag umzusetzen.
Mehr zum Thema >> Harnwegsinfekte lesen Sie in auf der Website der Apothekerkammer Niedersachsen.
Quelle: Apothekerkammer Niedersachsen